Ausgelesen am 27. Dezember 2018

Harry Thompson: This Thing of Darkness

Roman, Headline Publishing Group, London 2010.

Kurz vor seinem sehr frühen Tod mit 45 Jahren – es war Lungenkrebs – erschien der erste Roman von Harry Thompson unter dem Titel „This Thing of Darkness“ . Der Titel ist inspiriert durch das Stück „Der Sturm“ von Shakespeare, die entsprechende Stelle im letzten Akt wird auf Deutsch einstweilen mit „Geschöpf der Finsternis“ übersetzt, was dem diffusen Original jedoch nicht gerecht wird, denn mit der Finsternis könnte auch ein offenbarter Persönlichkeits- oder Wesensaspekt des sprechenden Prospero gemeint sein.

Der Roman selbst beginnt denn auch mit einem Unwetter auf See und handelt in absichtlich antiquiertem Englisch von der tragischen Figur des Robert Fitzroy, der nach dem Selbstmord seines Vorgängers unerwartet Kapitän des berühmten Segelschiffs HMS Beagle wird. Diese erste Reise der Beagle nach Feuerland und der herausfordernde Umgang mit den ansässigen, den Entdeckern komplett fremdartigen Ureinwohnern liefert die eigentliche Rahmenhandlung des Buches und ist aufgrund der unzeitgemässen Haltung Fitzroys sehr tiefsinnig gehalten. Der bildgewaltige Anfang liest sich wie ein typisches Seefahrer-Abenteuer.

Die zweite Reise des Schiffes ist wohlbekannt durch die Teilnahme Charles Darwins, dessen Beobachtungen in Südamerika als Belege eingeflossen sind in die später entwickelte Evolutionstheorie, wobei Darwin (und nicht Wallace) nur durch dessen publizistischen Ehrgeiz weithin als (alleiniger) Urheber gilt – aber das ist ein anderes Kapitel, oder sogar ein ganzes durchaus lesenswertes Buch: The Reluctant Mister Darwin. Besonders amüsant ist in diesem Mittelteil, wie sich die lebendig ausgestalteten und sehr gegensätzlichen Charaktere von Fitzroy und Darwin debattierend und um Argumente ringend über die Natur der Dinge in die Haare geraten, sich zugleich aber auch soweit schätzen lernen, dass sie einander auch vermissen, wenn z.B. Darwin auf dem Festland sich nebst dem Forschen vom wilden Leben der Gauchos begeistern und von einem Autokraten blenden lässt. Die Mitte des Romans bietet (natur-) philosophische Dichte und liest sich stellenweise fast schon wie ein platonischer Dialog. Es ist also auch kein Wunder, dass die Konstellation dieser zwei Figuren auch zu einem Theaterstück gereicht hat.

An diesem Punkt hätte man ein gutes Ende finden können, aber es wird durch biografisches Engagement und vermutlich durch zuviel recherchiertes Material in die Länge gezogen. Es folgen jedoch alles Ereignisse, deren Schilderung den fulminant komponierten Schluss im Rückblick besser nachvollziehbar werden lassen. Der zu Beginn eröffnete Bogen schliesst sich und es stehen düstere Dinge an beiden Enden des Werkes. Womöglich bezieht sich der Titel also auf eine seelische Konstellation, von der Fitzroy immer wieder übermannt wird. In der Jugend kann er sich der Herausforderung des Lebens (dem Sturm) noch stellen, doch im Alter und von der Gesellschaft gebeutelt fehlt im dazu die Willenskraft, gerade weil er als Mensch aus einer anderen, einer zugleich aufgeklärteren wie moralisch erhabeneren Zeit zu stammen scheint. Für England hat Fitzroy ein Sturmwarnsystem und seriöse Methoden der Wettervorhersage entwickelt; gegen den Sturm im Innern, der ihn jeweils in die Finsternis riss, war er hingegen zunehmend machtlos.

Die Geschichte zeichnet exemplarisch die Paradoxie des Menschen ab, der die Natur verstehen möchte und sie dennoch nicht ihrem Wesen nach erkennen will, der fremdem Verhalten begegnet und es dennoch immer nur als minderwertige Spielart der eigenen Kultur begreifen kann, der letztlich sich selbst zu beherrschen versucht und dennoch nicht nach innen zu sehen vermag, um mit sich umgehen zu lernen. Nicht wenige Menschen dürften auch heute der inneren Konstitution nach wie ein Segelschiff ohne psychisches Barometer und Kreiselkompass auf dem offenen Ozeans des Lebens unterwegs sein. Es wäre an der Zeit, jenes Ding von Dunkelheit in sich ernst zu nehmen, um klarer zu erkennen, verantwortlicher zu handeln und intensiver zu leben.

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